Auslegung der Testamentsformulierung „Sollte mir bei der Operation etwas zustoßen“

Oberlandesgericht München, Urteil vom 15.05.2012
Az.:31 Wx 244/11

Der Erblasser war nicht verheiratet und hatte keine Kinder, allerdings sechs Cousins und Cousinen. Er lebte rund 40 Jahre mit seiner Lebensgefährtin A. (Beteiligte zu 1) zusammen. Vor einer Gallensteinoperation im Jahre 1983 verfasste er im Krankenhaus ein Testament. Dieses lautete auszugsweise „Sollte mir bei der Gallenoperation etwas zustoßen, bekommt A. meine 2 Sparbücher und den Bauplatz in A.“ Der Erblasser überlebte die Operation und verstarb erst 27 Jahre später.
Die Beteiligte zu 1 beantragte am 17.3.2011 die Erteilung eines Alleinerbscheins. Sie ist der Ansicht, die Formulierung „sollte mir bei der Gallenoperation etwas zustoßen“ stelle lediglich die Angabe des Motivs für die Testamentserrichtung, nicht aber eine Bedingung betreffend ihre Erbeinsetzung dar. Der Erblasser habe gewollt, dass sie als seine Lebensgefährtin – seine einzige enge Bezugsperson über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren – in jedem Fall Alleinerbin werden solle, zumal er keinen Kontakt zu seiner Verwandtschaft gehabt habe. Die Lebensverhältnisse des Erblassers und der Beteiligten zu 1 hätten sich seit dem Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht verändert. Sie habe den Erblasser die letzten sechs Jahre krankheitsbedingt umfassend gepflegt und einen Großteil der Krankenhaus- und Arztkosten für den Erblasser bezahlt. Zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung habe der Erblasser lediglich die zwei Sparbücher und den Bauplatz in A. besessen. Da der Erblasser ihr damit sein gesamtes Vermögen zugewandt habe, sei sie als Alleinerbin anzusehen.
Die Verwandten des Erblassers sind demgegenüber der Auffassung, das Testament vom 04. August 1983 sei nur für den Fall des Todes des Erblassers während der Gallenoperation im Jahre 1983 errichtet worden.
Das Nachlassgericht hat den Antrag der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Diese legte dagegen Beschwerde ein.
Das Oberlandesgericht gab der Beteiligten zu 1 Recht und wies das Nachlassgericht an, der Beschwerdeführerin den von ihr beantragten Erbschein zu erteilen.

Die Formulierung des Testamentes sei jedoch auslegungsbedürftig. Wenn der Text eines Testaments in der Form eines Konditionalsatzes auf die Umstände der Errichtung Bezug nimmt und der Erblasser später trotz geänderter Umstände nicht widerruft bzw. neu testiert, stellt sich die Frage, ob der Erblasser die Wirksamkeit seiner Anordnungen von einer Bedingung abhängig machen oder nur den Anlass der Testamentserrichtung ausdrücken wollte. Das Gericht war der Ansicht, dass der Erblasser die Beschwerdeführerin nicht nur für den Fall als seine Erbin einsetzen wollte, dass er die Gallenoperation nicht überlebt, sondern diese generell zu seiner Rechtsnachfolgerin bestimmen wollte. Die Formulierung „Sollte mir bei der Gallenoperation etwas zustoßen“ stellt in der Regel die Angabe des Motivs für die Errichtung des Testaments, nicht aber eine Bedingung betreffend die Erbeinsetzung, dar. Lediglich dann, wenn sich ausnahmsweise ein Wille des Erblassers ermitteln lässt, dass er tatsächlich die Erbeinsetzung einer bestimmten Person nur vom Tode anlässlich eines ganz bestimmten Ereignisses abhängig machen wollte, weil diese Person in irgendeiner Form mit dem Ereignis verknüpft ist, liegt eine echte Bedingung vor. Eine solche Verknüpfung lag hier nicht vor. Im Wege der individuellen Auslegung könne der Wille des Erblassers festgestellt werden, dass er die Beschwerdeführerin durch die Zuwendung der einzelnen Vermögensgegenstände als seine Rechtsnachfolgerin betrachtet hat.