Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch

Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. Mai 2012
Az.: IV ZR 250/11

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch des Klägers bezieht sich auch auf Schenkungen, die der Erblasser vor dessen Geburt vorgenommen hat. Der Anspruch setzt nicht voraus, dass die Pflichtteilsberechtigung sowohl im Zeitpunkt des Erbfalles als auch zur Zeit der Schenkung bestanden hat.

Die Kläger machten gegen die Beklagte, Ihre Großmutter, im Wege der Stufenklage einen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch bezüglich des Nachlasses des verstorbenen Großvaters geltend. Sie verlangten Auskunftserteilung über den Bestand des Nachlasses des verstorbenen Großvaters durch Vorlage eines notariell aufgenommenen Verzeichnisses. Ferner begehrten Sie Abgabe einer eidesstattliche Versicherung sowie Zahlung. Die Beklagte und der Erblasser haben ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Erben einsetzten.
Die Parteien stritten darüber, ob den Klägern ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB zusteht, wenn sie zwar im Zeitpunkt des Todes des Erblassers, nicht aber im Zeitpunkt der jeweiligen Schenkungen pflichtteilsberechtigt waren. Im Wesentlichen ging es darum, ob der Auskunftsanspruch auch Schenkungen erfasst, die der Erblasser vor der Geburt der Kläger zugunsten der Beklagten vorgenommen hatte.

Nach dem Urteil sei es für den Sinn und Zweck des § 2325 BGB unerheblich, ob der im Erbfall Pflichtteilsberechtigte schon im Zeitpunkt der Schenkung pflichtteilsberechtigt war oder nicht. Das Erfordernis der Pflichtteilsberechtigung nicht nur im Zeitpunkt des Erbfalles, sondern schon bei der Schenkung führe laut dem Gericht zu einer mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarenden Ungleichbehandlung von Abkömmlingen.
Hat der Erblasser mehrere Kinder und sind einige im Zeitpunkt vor der Schenkung sowie einige danach geboren, so werden letztere hinsichtlich des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ungleich behandelt. Das verstoße gegen den Grundsatz des § 1924 Abs. 4 BGB, wonach Kinder zu gleichen Teilen erben. Ein nach Art. 3 Abs. 1 GG sachlich gerechtfertigter Grund für eine derartige Ungleichbehandlung der Kinder bestehe nicht. Geht es um eine Mindestteilhabe am Vermögen des Erblassers, komme eine Differenzierung zwischen den Abkömmlingen danach, ob sie vor oder nach der Schenkung geboren wurden, nicht in Betracht.

In seiner früheren Rechtsprechung hatte der BGH gefordert, dass die Pflichtteilsberechtigung sowohl im Zeitpunkt der Schenkung als auch des Erbfalls vorliegt. Die so genannte Theorie der Doppelberechtigung hat der Senat nun aufgegeben.